Drei vergessene Ysenburger Archive in Büdingen: Die Rentkammerarchive aus Büdingen, Meerholz und Wächtersbach

Unzugängliche wichtigste Überlieferung von 60 Ortschaften

Wie inzwischen allgemein bekannt geworden ist, gibt es in Büdingen nicht ein Ysenburger Archiv sondern deren fünf.
Das fünfte Archiv, das der Präsenz, soll hier außer Betracht bleiben. Es gehört einer Stiftung mit nach dem Ausstieg der evangelischen Kirche völlig unklarer Rechtsstellung. Die Möglichkeiten der Benutzung dieses Archivs sind daher ebenfalls völlig unklar. Für die Ortsgeschichte ist dies Archiv ohnehin nur von sekundärer Bedeutung.
Die Bedeutung der andern vier Ysenburger Archive für die Ortsgeschichte kann dagegen kaum übertrieben werden. Von diesen Archiven ist nur das sogenannte Gesamtarchiv zugänglich. Wegen seines Namens wird es allgemein für d  a  s Ysenburger Archiv in Büdingen gehalten. In Wirklichkeit hat es seinen Namen aber nur, weil es Gesamteigentum aller drei Speziallinien war. Es enthält keineswegs die gesamte Ysenburger Überlieferung, sondern nur die ältere Überlieferung bis zum Dreißigjährigen Krieg. Dass es in Büdingen noch drei weitere große Ysenburger Archive mit dem Namen Rentkammerarchive und umfangreicher Überlieferung aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gibt, ist daher nicht bewusst geworden. Diese Archive sind für die Öffentlichkeit verschlossen. Insider wissen zwar, welche Art von Akten sie beherbergen. Was in diesen im Einzelnen steht, darüber müssen sie aber im Dunkeln tappen. Gerade auf diese Überlieferung ist die Ortsgeschichte der Ysenburger Lande für die Zeit bis etwa 1830 angewiesen.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit aus den Rentkammerarchiven ist umso unverständlicher, als es sich bei ihrer für die Heimatforschung interessanten Überlieferung keineswegs um private Unterlagen, sondern um Unterlagen staatlichen Charakters handelt, die dem Staat gehören und auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat. Umso größeres Erstaunen muss daher erregen, dass ausgerechnet das Hessische Ministerium für Wissenschaft(!) und Kunst das Gegenteil verbreitet.

Die Ysenburg waren nun einmal nicht einfach eine Familie, die ihr privates Vermögen verwaltete und Unterlagen darüber hinterließ. Sie stellten gleichzeitig regierende Grafen, die kleine Länder regierten. Dies war Staatshandeln und hat Unterlagen hinterlassen. Um diese geht es hier.
Dass es nicht ein einziges Archiv der Isenburg, sondern mehrere gibt, geht auf die Teilung der Grafschaft in mehrere Kleingrafschaften zurück. Nach einer ersten Teilung war zwar die gesamte Grafschaft vor dem Dreißigjährigen Krieg unter Graf Wolfgang Ernst wieder in einer Hand vereinigt worden. Schon nach kurzer Zeit mitten im Dreißigjährigen Krieg begannen aber dann neue Teilungen, die zunächst 1684 zu einer Hauptteilung in die beiden Hauptlinien Isenburg-Birstein und Ysenburg und Büdingen führten. Bei dieser Teilung wurde das bis dahin gemeinsame Archiv definitiv aufgeteilt, der eine Teil kam nach Birstein, der andere nach Büdingen. 1687 teilte sich dann die Hauptlinie Ysenburg und Büdingen noch einmal weiter in die nach dem Aussterben der Speziallinie in Marienborn noch drei Speziallinien in Büdingen, Meerholz und Wächtersbach. Das gerade durch Aufteilung entstandene Archiv der Hauptlinie in Büdingen wurde bei dieser weiteren Teilung nicht mehr aufgeteilt. Man erklärte es vielmehr zum gemeinsamen und gemeinsam verwalteten Eigentum, daher der Name Gesamtarchiv.
Jede der schließlich drei Speziallinien richtete sich in ihren Schlosskomplexen in Büdingen, Meerholz und Wächtersbach aber eigene Spezialarchive für ihre zukünftig entstehenden Unterlagen ein. So entstanden neben dem ungeteilt in Büdingen aufbewahrten Gesamtarchiv noch drei weitere Archive. Was u. a. zur Folge hatte, dass es im Büdinger Schlosskomplex zwei Archive mit Regierungsakten gab. Ursprünglich bestand vielleicht die Absicht, das gesamte Archivwesen der zunächst vier Speziallinien gemeinsam zu betreiben und in das Gesamtarchiv auch die erst in der Zukunft entstehenden Unterlagen einzulagern. Dies geschah indes fast nur mit Unterlagen, die alle Speziallinien betrafen. Das Ysenburger Gesamtarchiv war daher schon im 18. Jahrhundert zu einem nur noch historischen Archiv geworden. Im Übrigen waren in diesen Archiven sorgfältig zu unterscheiden die Unterlagen der Familie (des Hauses) und ihres Vermögens einerseits und des Staates, dessen Regenten die Familie lediglich stellte (ohne dass er natürlich zu ihrem Eigentum wurde), andererseits.
Die Unterlagen dieser drei Spezialarchive waren hauptsächlich Unterlagen von Behörden. Jede regierte zwar nur kleine Ländchen aus höchstens um die 20 Ortschaften. Für deren Regierung richteten sie sich dessen ungeachtet in ihren Schlössern ihre eigenen Regierungsapparate aus Kanzlei, Konsistorium und Rentkammer mit Direktoren und Räten ein. Die von diesen produzierten Unterlagen waren umfangreich, denn bekanntlich wuchs im 18. Jahrhundert die Aktenflut enorm an. In der Hauptsache waren es Regierungsakten aus öffentlichem Handeln. Zwar gab es daneben in den Spezialarchiven auch Familienpapiere und Unterlagen aus der Verwaltung der Vermögen der Speziallinien. Die Masse machten sie erst in der Zeit nach 1830 aus, als die Ysenburg fast alle Regierungsrechte abgegeben hatten.
In diesen drei heute Rentkammerarchive genannten Archiven findet sich die wegen der Menge wichtigste Überlieferung für etwa 60 Orte aus den etwa anderthalb Jahrhunderten vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum endgültigen Untergang der Ysenburger Regierungsrechte nach 1830. Wer sich für Prozesse sowohl des Straf- als auch des Zivilrechtes, für Beamte, Pfarrer, Lehrer und Gemeindevorsteher, für öffentliche Bauten wie Kirchen, Schulen, Rathäuser, Brücken, für Besteuerung, für Ereignisse in Siebenjährigem Krieg, Revolutionskriegen und Napoleonischen Kriegen, für Agrarverhältnisse usw. usw. in diesen Orten interessiert, kann nur hier wirklich fündig werden. Dies gilt gerade für die Stadt Büdingen, über deren Geschicke im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert so wenig bekannt ist. Gern wüsste man z.B. auch mehr über die Herrnhuther auf dem Herrnhaag oder die Zerstörung der Burg Hardeck durch kaiserlichen Straßenbau. Dass Unterlagen aus den Rentkammerarchiven ins Gesamtarchiv gelangt sind, ist hier kein Ersatz.
Diese Unterlagen staatlichen Charakters blieben in Ysenburger Verwaltung auch nach dem Auslaufen der gräflichen Regierungstätigkeit nach 1830. Dies hatte seine Rechtsgrundlage in erst 1918 erloschenen Privilegien der Wiener Kongressakte. Zuständig für die Verwaltung waren die Rentkammern, die als einzige außerkirchliche Behörden geblieben waren. Von hierher der Name Rentkammerarchive. Nach der Revolution von 1918 waren für diese staatlichen Unterlagen die Länder, jetzt Republiken, zuständig. Zunächst schrieben sie für alles, was in den Archiven war, Stiftungen vor. Dies ist immer noch nicht ausgeführt.
Nachdem aus der Wächtersbacher Speziallinie die beiden anderen Speziallinien in Büdingen und Meerholz beerbt worden waren und die Schlosskomplexe in Meerholz und Wächtersbach nicht mehr zur Verfügung standen, wurden die Rentkammerarchive von Meerholz und Wächtersbach nach Büdingen verbracht. In das Gesamtarchiv integriert wurden sie dort ebenso wenig wie das Büdinger Rentkammerarchiv und führen seither hauptsächlich im Bandhaus ein tristes lange fast völlig unbeachtetes Sonderdasein.

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Ysenburger Behörden um 1800 im Reichs- und Staatshandbuch

 

Christian Vogel

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